Oberamt

Der beträchtlichste Ort des Oberamts

Allmählich aber erholte sich das Land. Kurfürst Karl Ludwig (1649-80) betrieb eine klügere Politik als seine Vorgänger, mied außenpolitische Abenteuer, widmete sich dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und suchte zumindest die Gegensätze zwischen Lutheranern und Reformierten auszugleichen. So schienen in Appenheim Zeiten des ruhigen Aufbaus anzubrechen, zumal der Ort – ganz im Gegensatz zu Bingen und Gau-Algesheim – nur wenig von der Pest des Jahres 1666 betroffen wurde. Familien wanderten zu, die Äcker und Wingerte waren wieder bebaut, Pfarrei und Schulstelle besetzt, und die Lieferungen nach Stromberg erreichten wieder die alte Höhe. Aus dieser Zeit wachsenden Wohlstands (1678) liegt uns ein Bericht über das Oberamt vor. Zu Appenheim wird darin ausgeführt, es sei ein „Churpfalz eigener Flecken, freyzügicht und keiner Leibeigenschaft zugethan“; die „Territorialjurisdiction und Grundgerechtigkeit“ liege bei Kurpfalz, die außerdem den Oberschultheiß und das Ortsgericht ernenne; zum Gericht schlage die Gemeinde allerdings immer „etliche fromme und ehrliche Männer“ vor. Frondienste würden nur dem Landesherrn geleistet, dem auch 29 Malter „Beedkorn“, 8 Gulden Collecturgeld und 54 Fastnachtshühner zustünden.

Als weitere Abgabe an das Oberamt erwähnt der Bericht 12 Gulden „Bastardfall“, eine Strafgebühr für uneheliche Geburten, die immerhin von sechs Appenheimern entrichtet werden mußte. Zur noch immer recht komplizierten Aufteilung des Appenheimer Zehnten lesen wir: „Den hießigen Weinzehenden hatten in hießiger Gemarckung gehabt vor dießem lauth Weisthumbs Juncker Knebel und Junker Oberstein; ietzo aber hatt selben der Vicedom im Rheingau, Freyherr von Greiffenclau. An Fruchtzehenden hat dieser Vicedom 7/8 Theil und die Pfarr alhier bekombt den andern 1/8 Theil, wird jährlich der Gemaindt um ein gewißes verliehen“. Von der Lage „Daubhaus“ gehe der Weinzehnte zu 7/8 an den Pfarrer, zu 1/8 an den Glöckner; beim Korn- und kleinen Zehnten aus dieser offenbar recht fruchtbaren Flur war das Verhältnis 5 zu 1. Weiter wird erwähnt, in der Gemarkung Appenheim entspringe ein kleiner Bach, der durch den Dorfgraben fließe und „Walterdreck“ genannt werde, außerdem ein großer Bach, der von Niederhilbersheim komme. Von den fünf Appenheimer Mühlen war damals noch eine verfallen; die übrigen gehörten dem Nonnenkloster Rupertsberg, den Rheingrafen und der Gemeinde. Über die Pfarrkirche – neben der das Schulhaus liege – vermerkt die Beschreibung:„ selbige zu bauen sind die Dezimatores schuldig, auch sie zu unterhalten, auch alles Gebäu, außer die Cantzel, die Männer- und Weiberstühl auff der Erde, welches Kurpfalz bawen lest“. Den Bericht unterzeichneten Oberschultheiß Philipp Wiedels und Bürgermeister Martin Schweitzer, sowie Jost Heleman, Christian Knebitz, Johann Stern, Hans Henrich Erben, alle „deß Gerichts zu Appenheim“. Die meisten von ihnen waren auch noch sieben Jahre später „Gerichtspersohnen der Gemeindt Appenheim“ und zählten – wie aus dem Schätzungsregister von 1683 hervorgeht – zu den reichen Leuten des Orts. In diesen Dokumenten finden sich auch schon die Namen vieler Appenheimer Familien, die lange bestanden und zum Teil noch bestehen, so der Erbes Knewitz, Wetzler, Rodenmeyer, Haas, Dorst, Boller, Porth, Molsberger, Andreae, Schweickard, Hembes, Gehindy, Peter, Schweitzer, Scheidt, Dörrnbach und Lauffenseiller. Mit 73 Familien und 55 „Herdstätten“ (1683/85) hatte Appenheim wieder dieselbe Größe wie vor dem Dreißigjährigen Krieg- ca. 400 Einwohnererreicht. Zunehmend sprechen die Quellen von einem „Flecken“, einem ausgesprochen großen und wohlhabenden Dorf im Oberamt Stromberg.

Doch diese Entwicklung wurde 1688/89 jäh unterbrochen. Die Franzosen standen im Land. Denn in dem Drang nach Ausweitung seines Reiches hatte König Ludwig XIV. von Frankreich einen Krieg um das Erbe des 1685 verstorbenen Pfälzer Kurfürsten begonnen. Als Vorwand dienten dem „Sonnenkönig“ die Ansprüche seiner Schwägerin Liselotte von der Pfalz; in Wirklichkeit ging es ihm aber um einen Gebietszuwachs am Rhein. In Metz setzte Ludwig XIV. eine Behörde ein, die die französischen Rechtsansprüche auf pfälzische Gebiete beweisen sollte; zu diesen geplanten „Reunionen“ gehörte auch das Oberamt Stromberg. Zugleich ließ der französische König seine Truppen an den Rhein marschieren, und so besetzten Franzosen im Herbst 1688 erneut Appenheim. Wieder mußten die Bauern Wein, Getreide, Stroh und das wertvolle Heu liefern, wieder hungrige Soldaten verköstigen und unzählige Fuhrdienste leisten. Der Appenheimer Schulmeister Johann Andreae klagte, er komme an den Bettelstab, wenn ihm „die von den Franzosen ausgesaugte Gemeinde“ nichts mehr gebe; überhaupt sei „keine rechte Obrigkeit mehr im Land“. Besonders große Angst herrschte im Dorf, als Ludwig XIV. seinen Truppen befahl: „Verbrennt die Pfalz“. Bevor das Land seinem Gegner, dem Kaiser, in die Hände fiel, wollte er es lieber verwüsten lassen. Allerdings sollte die Zerstörung nur militärisch oder wirtschaftlich wichtige Orte treffen. Während so seit 1689 am Mittel- und Oberrhein viele Burgen und Städte von den Franzosen in Brand gesteckt wurden, blieben die Dörfer meist verschont. In Appenheim kam es zwar zu Plünderungen, aber verwüstet wurde der Ort nicht.

Trotzdem war der französische Einmarch von 1688 für die Appenheimer schicksalhaft, brachte er doch einen neuen Versuch, ihnen ein anderes Bekenntnis aufzuzwingen. Denn der „Sonnenkönig“ wollte, daß die zum Anschluß an Frankreich vorgesehenen Gebiete -wie das Oberamt Stromberg- seine eigene, katholische Religion annahmen, getreu dem Grundsatz: „Ein Glaube, ein Gesetz, ein König“. Da die Franzosen aber einsahen, daß das evangelische Bekenntnis nicht von heute auf morgen abzuschaffen war, suchten sie seine Ausübung zu erschweren. Deshalb teilten sie in den evangelischen Orten ihres Besatzungsgebietes die Pfarrkirchen auf: Während die Protestanten nur noch das Kirchenschiff benutzen durften, blieb der Chor der katholischen Meßfeier vorbehalten. Die Gotteshäuser wurden jetzt von beiden Konfessionen benutzt, weshalb man von einem „Simultaneum“ (von lateinisch simul = zugleich) sprach. Diese Regelung wurde 1688/89 auch in unserer Pfarrkirche eingeführt, die damit ein halb evangelisches, halb katholisches Gotteshaus war. Zwar hoben die Truppen des katholischen Kaisers das Simultaneum bei ihrer kurzen Besetzung Appenheims 1690 wieder auf, doch wurde es von den Franzosen bei ihrer Rückkehr ein Jahr später wieder eingeführt und bis zum Ende des Krieges 1697 beibehalten. Inzwischen zeigte die 1688 begonnene Rekatholisierung Wirkung: 1693 wurde in Gau-Algesheim das erste Appenheimer Ehepaar (Lauffensell-Dengler) wieder katholisch getraut. Weitere Heiraten im kurmainzischen Nachbarort folgten, meist Mischehen, wobei die Kindererziehung nach französischem Gesetz zugunsten des katholischen Teils geregelt war. So gab es in Appenheim am Ende des „Pfälzischen Erbfolgekrieges“ wieder Ansätze einer katholischen Gemeinde und damit zu mehr Vielfalt in der Religionsausübung, aber auch Anlaß zu konfessionellem Hader, der unser Dorf bis ins 19. Jahrhundert beschäftigte.

Dies auch deshalb, weil mit dem Abzug der Franzosen die Begünstigung der Katholiken keineswegs beendet war. Denn im Frieden von Ryswick (1697) hatte Frankreich eine „Religionsklausel“ durchsetzen können, nach der alle Maßnahmen zugunsten der Katholiken erhalten bleiben sollten. Frankreichs Gegner und Vertragspartner reagierten empört – aber nur nach außen. Denn insgeheim hatte Kurfürst Johann Wilhelm aus der katholischen Linie Pfalz-Neuburg mit Ludwig XIV. vereinbart, die „Religionsklausel“ anzunehmen und in seinen Ländern durchzuführen. Das entsprach seiner Erziehung und Überzeugung, zumal er genauso „ absolut“ herrschen wollte wie der Sonnenkönig.

In der Kurpfalz folgten nun Jahre mit eindeutig prokatholischer Politik. Der Kurfürst löste die protestantische Kirchenverwaltung auf, ersetzte evangelische Beamte durch katholische und beließ es bei der Teilung der Kirchen, selbst wenn am Ort nur wenige Katholiken wohnten. In Stromberg saß nun ein katholischer Amtmann, in der Appenheimer Kirche bestand das Simultaneum weiter und etliche Katholiken wanderten in unseren Ort ein; sie wurden zunächst von Oberhilbersheim betreut. So war auch in Appenheim die einseitige Religionspolitik des neuen Kurfürsten spürbar.

Die Protestanten der Kurpfalz, denen 1685 ja ungehinderte Ausübung des Bekenntnisses zugestanden worden war, pochten auf ihre Rechte und beschwerten sich bei den evangelischen Fürsten Deutschlands. Nun gingen diese gegen ihre katholischen Untertanen vor. Deshalb, und um Ruhe in seinem Land zu bekommen, erklärte sich Kurfürst Johann Wilhelm zum Einlenken bereit und erließ 1705 die sog. „Religionsdeklaration“. In ihr versprach er allen Untertanen Glaubens- und Gewissensfreiheit, den Protestanten, ihre 1685 festgelegten Rechte zu achten und kündigte eine neue Aufteilung der Kirchengebäude und -guter je nach dem Konfessionsverhältnis der einzelnen Gemeinden an.

Die dazu eingesetzte „Teilungskommission“ konnte ihre Arbeit zunächst nicht aufnehmen, weil wegen des Spanischen Erbfolgekrieges wieder einmal Truppen im Land standen; im Sommer 1706 hielten solche „herumb streifenden französischen Parteien“ auch Appenheim besetzt. Im September des gleichen Jahres tagte die Teilungskommission, um die Kirchen der Inspektion Oppenheim unter den Konfessionen aufzuteilen. Dabei wurde die Appenheimer Pfarrkirche ganz den Reformierten zugesprochen, das Simultaneum also beseitigt; ebenso verfuhr man bei Niederhilbersheim. Damit war an beiden Orten der Zustand von vor 1688 wieder hergestellt. Den zum Katholizismus übergetretenen Appenheimern wurde ein Raum im Rathaus zur Abhaltung des Gottesdienstes zugewiesen. Dagegen gab es offenbar Widerstand, denn um 1710 mußte das Oberamt die Gemeinde Appenheim zwingen, den Katholiken einen Teil des Rathauses zur Verfügung zustellen. Abgesehen von einer erneuten französischen Besetzung im Jahr 1714 – als sie wieder die Pfarrkirche benutzen konnten – feierten die Katholiken nun bis etwa 1730 im Rathaus ihre Messe. Dann schenkte ihnen der kurpfälzische Reiteroberst von Closs ein gegenüberliegendes Haus zu gottesdienstlichen Zwecken. Bald wurde dieses Gebäude als „Filialkirche“ von Großwinternheim bezeichnet, von wo aus Schwabenheimer Benediktiner die Appenheimer Katholiken betreuten. 1728 berichteten diese Patres, es gebe in Appenheim 18 katholische Familien mit 62 Seelen; auch hätten die hiesigen Katholiken einen eigenen Lehrer. Über die anderen Konfessionen hieß es in dem Bericht: „In den Filialen Appenheim und Bubenheim gibt es Gläubige der Sekte Luthers und Calvins. Die Calvinisten haben in allen Orten eigenen Gottesdienst, die Lutheraner üben ihre Religion in Oberingelheim aus.“

So war in Appenheim um 1730 schon eine regelrechte katholische Gemeinde vorhanden, die wenig später auch einen Glockenvertrag mit den hiesigen Protestanten schloß. Die Zahl der katholischen Familien stieg weiter an und betrug 1748 22, was einer Zahl von 100 bis 120 Katholiken gleichkam. Bei den rund 500 Einwohnern, die Appenheim damals hatte, war dies ein ähnliches Verhältnis wie heute (1974: 288 Katholiken unter 1055 Einwohnern).

Kein Wunder, wenn die Appenheimer Katholiken bald nach Selbständigkeit strebten. Sie hatten es leid, bei Wind und Wetter und den häufigen Überschwemmungen der Selz zur „Mutterkirche“ nach Großwinternheim zu gehen. Seit 1746 wandten sie sich deshalb nach Stromberg und Mannheim, um einen eigenen Pfarrer zu bekommen, erhielten aber vom Oberamt und der Landesregierung nur ausweichende Antworten. Schließlich half ihnen wieder ein privater Spender weiter: Durch eine Stiftung des Ingelheimer Obersten von Schrieck konnte der aus Luxemburg stammende Priester Michael Huberti zum ersten katholischen Pfarrer Appenheims seit der Reformation gewonnen werden. Seine Amtseinführung durch den Dekan des Algesheimer Landkapitels- zu dem die katholische Pfarrei Appenheim j etzt gehörte-feierte Huberti in Anwesenheit benachbarter Geistlicher und des Stromberger Amtmanns. Zugleich sah er darin einen Triumph über die Andersgläubigen und „stellte eine solemne Procession an (weilen keine von Lutheri und Calvini Zeiten ist geführet worden), im ganzen Orth herum, mit Vergiesung viel der Tränen meiner Pfarrkinder, weilen sie endlich den Tag erlebet, nach welchem sie so weith und lang geseufzet haben“.

Von dieser Rührung blieb allerdings im Alltag der neuen Pfarrei wenig übrig. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen zwischen den Gläubigen und ihrem Pfarrer, dem man Trunk- und Streitsucht vorwarf, und der seinerseits – wie manche seiner Nachfolger- über Eigensinn und „Tadelsucht“ der Appenheimer klagte. Streit gab es seit 1768 auch um eine neue Kirche, die Pfarrer Huberti für überflüssig, seine Gemeinde aber für nötig hielt. Als Huberti weiter zögerte, rissen Appenheimer Katholiken im Mai 1773 das von Schriek geschenkte Haus kurzerhand ab und legten den Grundstein zu einem Neubau. Der Pfarrer machte gute Miene zu diesem bösen Spiel und bestimmte den Heiligen Michael – den Patron der mittelalterlichen Appenheimer Pfarrkirche – zum Schutzheiligen des neuen katholischen Gotteshauses. Am Michaelsfest 1774 las Huberti die erste Messe darin, und 1775/79 wurde dann die katholische Appenheimer Pfarrkirche geweiht. Kunstgeschichtlich zählt sie zu den typischen barocken Saalkirchen Rheinhessens und der Pfalz; sie ist ein einfacher Barockbau, dessen dreiseitiger Chor durch einen „Triumphbogen“ vom flachgedeckten Langhaus abgesondert ist. Der Hochaltar besteht aus Teilen eines um 1650 entstandenen Altars aus dem Rheingauer Kloster Notgottes und dürfte erst nach dessen Auflösung (1803/13) hierher gekommen sein. Zur ursprünglichen Ausstattung der Kirche gehörten noch zwei Nebenaltäre mit guten Figuren der Maria und des Hl. Michael aus einer Mainzer Bildhauerschule. Weitere Ausstattungsstücke sind Kelche aus der Rokokozeit, zwei Wandgemälde und ein Kruzifix sowie mehrere Leuchter aus dem 18. Jahrhundert. Mit der Errichtung dieser St. Michaels-Kirche 1775 war zumindest äußerlich der Aufbau einer katholischen Gemeinde in Appenheim, der 1688/97 begonnen hatte, abgeschlossen.

Wir haben diesen Vorgang so ausführlich dargestellt, weil er bis heute in Appenheim nachwirkt: Auch hier sind die konfessionellen Verhältnisse in erster Linie nicht (mehr) eine Folge der Reformation, sondern der von den Franzosen begonnenen und den Pfälzer Kurfürsten fortgesetzten Rekatholisierung. Ganz enormen Einfluß hatten sie natürlich auf das Dorfleben des 18. Jahrhunderts. Konfessionelle Streitereien waren häufig und teilten viele Familien. Zudem sahen manche protestantischen Appenheimer auf ihre katholischen Mitbürger herab, weil diese als Zuwanderer nur kleine Bauern, Müller oder Handwerker waren. Die Protestanten ihrerseits fühlten sich benachteiligt, weil die Katholiken im pfälzischen Staatsdienst eindeutig bevorzugt wurden. So beriefen die Stromberger Amtmänner- die anfangs oft Taufpaten katholischer Appenheimer waren – seit 1720 nur noch Katholiken zu Schultheißen unseres Dorfes (Wilhelm, Nikolaus und Johannes Wetzler, Franz Müller und Johannes Franz). Kleinliche Streitereien um Glocken und Schulbänke kamen hinzu.

Da half es wenig, wenn die kurpfälzische Landesregierung in Mannheim auch einmal die Partei der Appenheimer Protestanten ergriff. Dies geschah z.B. beim Neubau der reformierten Pfarrkirche, der allerdings schon lange überfällig war. Bereits Ende des 17. Jahrhunderts hatten die Pfarrer geklagt, die Freiherren von Greiffenclau-Vollrads kämen ihrer Baupflicht als Patronatsherren „nur mit Zwang“ nach. Schließlich klagten die Appenheimer in Mannheim und erhielten 1759 durch das Hofgericht Recht. Die Greiffenclauer gingen aber in die Berufung, wurden jedoch 1763 durch das Oberappellationsgericht dazu „condemniret“, den Appenheimern eine neue Kirche zu bauen. Diesem Urteil kamen sie natürlich nur widerwillig nach. Seit 1765 entstand auf den Grundmauern des mittelalterlichen Baues ein schmuckloses Gotteshaus, ebenfalls in Form einer Saalkirche. Der ursprünglich geplante Turm wurde nicht gebaut, weil sich die Appenheimer mit den Freiherrn nicht über die Kosten für das Baumaterial einigen konnten. Es blieb bei einem einfachen Giebel mit Portal und dem Dachreiter für zwei Glocken. Noch schlimmer sah es im Innern aus, denn die „Bauherren“ hatten weder Altar noch Kanzel oder Bänke errichten lassen. All das schaffte die Gemeinde schließlich selbst an, um die Pfarrkirche wenigstens benutzen zu können.

Die Inneneinrichtung der Kirche kostete die Appenheimer einiges, doch ist auch zu bedenken, daß gerade die Protestanten unter ihnen durchweg wohlhabende Leute waren. Das zeigen schon die Appenheimer „Schatzungsrechnungen“, in denen die von unserem Dorf an den Landesherrn gezahlte „Schatzung“ (meist 1130 Gulden im Jahr) nach den einzelnen Steuerpflichtigen aufgegliedert ist. Geführt wurde die Liste vom „Bürgermeister“ oder dem herrschaftlichen Ischatzungsempfänger“, der die Steuer einnahm und weiterleitete. Die Schatzungsrechnungen enthalten die steuerliche Einschätzung der Appenheimer nach ihrer „Nahrung“ (Gewerbe oder Handwerk), dem Wert ihrer Häuser und ihrem Grundbesitz. Allerdings gab es kaum jemand im Dorf, der im strengen Sinn Eigentümer des von ihm bewirtschafteten Bodens war. Denn noch immer bestand die mittelalterliche Grundherrschaft, d.h. die meisten Appenheimer Äcker, Wingerte und Wiesen gehörten einem Kloster oder einem Adligen. Freilich war diese Grundherrschaft jetzt soweit verblaßt, daß sie nur noch an den Abgaben zu erkennen war, die jährlich geliefert werden mußten. Ab und zu führten die Grundherren eine Überprüfung („Renovation“) ihrer Güter durch, wie z.B. das Mainzer Domstift 1745. Dabei zeigte sich immer wieder, daß die meisten Güter in „Erbbestand“ und nicht in „Temporalbestand“ (Erb- bzw. Zeitpacht) vergeben waren. Praktisch besaßen die Bauern den Boden doch, ohne ihn allerdings veräußern oder teilen zu können; ihre Abgaben an den Grundherrn waren für diesen meist nur noch pünktlich eintreffende Naturallieferungen, die allerdings oft eine beträchtliche Höhe erreichten.

Diesen Fortbestand uralter Verhältnisse zeigen auch die Appenheimer Gemeinderechnungen, die zugleich Einblicke in Leben und Lage unseres Dorfes um die Mitte des 18. Jahrhunderts gewähren. Auch diese Rechnungen wurden von den „Schatzungserhebern“ geführt. Zwischen 1777 und 1789 waren das Wilhelm Grossart, Friedrich Bokkius und Friedrich Schmuck. Das Rechnungsjahr begann jeweils an „Mariä Lichtmeß“, also Anfang Februar. Bestätigt wurden die Rechnungen vom Ortsvorstand, d.h. vom Schultheiß, den vier Gerichtsmännern, zwei „Vorstehern“ oder Bürgermeistern und bisweilen von einem Gerichtsschreiber. Auf allen findet sich ein Abdruck des Gemeindesiegels von 1621, das als „redendes Wappen“ nun einen großen Apfel zeigt („Apfelheim“). Diese Appenheimer Rechnungen wurden in Stromberg vom Oberamtmann geprüft und in Mannheim von einem Hofrat „superrevidiert“. Das Hineinwirken der kurpfälzischen Verwaltung bis auf die Ortsebene kam auch darin zum Ausdruck, daß stets vermerkt wurde, wieviel Stunden Appenheim von Stromberg, Mannheim, dem Rhein, dem Neckar und der Mosel entfernt liege. An Einnahmen -etwa um die 1000 Gulden-verzeichnen die Rechnungen meist zurückgezahlte Darlehen, die Pacht aus den (wenigen) Gemeindeäckern, -weiden und -wiesen, die (geringen) Erlöse aus versteigertem Spreu, Gras, Obst und Holz, „Straf- und Frevelgelder“, Zinsen für die Gemeindeschmiede, Gebühren für Wachtdienste, sowie das „Feuereimergeld“. Durchlaufende Einnahmen, die von der Gemeinde nur weitergeleitet wurden, waren die „herrschaftlichen Gelder“, also wie im Mittelalter, Beede, Atzung und Salzgeld; sie machten zusammen oft über 100 Gulden aus. An die Kellerei Stromberg gingen in manchen Jahren auch Gelder, die „auf Befehl“ von den Appenheimern eingetrieben wurden. Dabei handelte es sich um Sondersteuern, angeblich „für das allgemeine Beste“, wahrscheinlich aber eher für die kurpfälzische Verwaltung oder Hofhaltung. Auch der „Bürger-Einzug“ ging zum Teil nach Stromberg, also jene Gebühr, die jeder Zugezogene für seine „Bürger-Annahme“ zu entrichten hatte. Ebenso das Quartiergeld, daß selbst dann erhoben wurde, wenn die Soldaten nicht in Appenheim, sondern z.B. in Stromberg lagen. Vielfältig waren die Ausgaben der Gemeinde. Neben den erwähnten durchlaufenden Einnahmeposten machten die „Kriegskosten“ (meist Abtragung von Gemeindeschulden aus längst vergangenen Besatzungszeiten), die Rückzahlung von Schulden sowie Verwaltungsgebühren für das Oberamt (einschließlich der Zählgelder, Schreibgebühren, Taxen und „Sporteln“) die größten Posten aus. Hinzu kam eine Menge Einzelausgaben, wie für Botenlöhne, für „Faselvieh“ (Bullen und Ziegenböcke), für den Nachtwächter, „wegen Stellung der Gemeindeuhr“ oder einer Reparatur am Gemeindebackhaus. Außer Geldausgaben bzw. -einnahmen verzeichnet die Gemeinderechnung auch Naturalien, die einkamen bzw. abgeliefert werden mußten. So gingen 1783 an „Beedkorn“ 37 Malter Getreide und 8 Malter „Zinskorn“ an die Kellerei in Stromberg.

Die Gemeinderechnungen sind jedoch nicht nur finanziell interessant, sie geben auch Einblicke in Aussehen und Ausstattung von Appenheim gegen Ende des 18. Jahrhunderts. So enthält jeder Jahrgang ein „lnventarium über alle der Gemeinde Appenheim gehörigen Mo- und Immobilien“. Für 1783 werden aufgeführt: an „Feldstücken“ 3 1/4 Morgen Acker, 19 Morgen Wiese und 18 Morgen Weide, die alle als „schlecht“ eingestuft sind. Dann werden die „Häusser und dazu gehörige Geräthschaften“ beschrieben:

1 Rathaus, hat einen alten und neuen Tisch, drei Bänk, zwei alte Gerichtskisten, einen kleinen Schrank, worin die Registratur, einen runden eisernen Ofen, 7 Feuer-Eimer, 4 Feuerhacken. Nota: anno 1781 ist ein viereckigter Winnweiler eiserner Ofen aufs Rathaus in die gemeine Stube angeschafft worden. 4 Schrod und 2 Feuerlaithern sind anno 1779 neu angeschafft worden.
Ein Viertels Eichkopf, ein halb Maas, und ein Schoppen Eich, eine zinnerne Ampel – Ein Eichzuber auch seit 1779 neu.
Rathaus- und Gemeine-Keller 
1 Reformirt Schulhaus darin ist ein eisserner Ofen, zwei Tisch, und 4 Bänk, hat auch ein klein Kellergen 
1 Hirtenbaus auf dem Unterthor, ist an Geräthschaft nichts vor die Gemeinde darinn, als ein schlechter eisserner Offen. 
1 Backhaus, worin zwei Büthen und ein alter eisserner Ofen, hiebei ist auch ein Stall. 
1 Schmitt hat einen eisernen Ofen, sammt einem Gärtgen und Schweinstall 
. . . . 
1 Neu gebaut Katholichs Kirchlein mit zwei Glöcklein 
1 Reformirt Kirch mit 2 Glocken. Auf diesem Thurm ist auch eine gemeine Uhr 
1 katholische Schul aufm Rathaus 
1 Reformirte Schuhl 
106 Privathäuser 
76 Scheuer
Zug-, Milch- und Mastvieh: 
21 Pferde, 17 Ochsen, 140 Kühe, 37 Rinder

lnventarium über alle der Gemeinde Appenheim gehörigen Mo- und Immobilien

So kann man sich die „öffentlichen Gebäude“ Appenheims Ende des 18. Jahrhunderts gut vorstellen. Zudem zeigt diese Auflistung, was damals in einer solchen Gemeinde als wichtig und wertvoll galt.

Darüberhinaus geben die Gemeinderechnungen auch über die Appenheimer selbst Aufschluß, denn sie enthalten alle recht genaue Bevölkerungstabellen. Aus ihnen geht hervor, daß die Einwohnerzahl unseres Dorfes im späten 18. Jahrhundert schwankte, denn sie stieg von 527 im Jahre 1767 auf 586 (1776), fiel dann wieder auf 520 (1783) und betrug 1788 549 Personen. Von diesen waren 111 Männer, 117 Frauen, 152 Söhne, 141 Töchter, 10 Knechte und 18 Mägde. Genau führen die Rechnungen auch die Mitglieder des Ortsvorstandes samt ihren Familien auf, also den Schultheiß, die „Bürgermeister“, die Gerichtsmänner und den Schreiber, den „Feldmeister“, den Gemeindediener und den Nachtwächter. Über die Konfessionsverteilung machen diese, von der Mannheimer Regierung vorgeschriebenen Statistiken keine Angaben. Sie enthalten lediglich eine Spalte für „Menonisten“ (also die inzwischen gemäßigten Wiedertäufer), die aber in Appenheim leer blieb. Ausdrücklich vermerkt sind dagegen die Juden, die wohl im 17. Jahrhundert zuwanderten (siehe den Aufsatz von Erich Hinkel). In Appenheim gab es 1767/76 drei, 1783/9 zwei Judenfamilien mit insgesamt 16 bzw. 13 Personen. Daß sie von den übrigen, als „Bürgern“ bezeichneten Appenheimer gesondert aufgeführt sind, hing mit ihrer schlechteren Rechtslage zusammen. Außer dem „Schutzgeld“, das die Juden dem Kurfürst entrichteten, mußten sie auch der Gemeinde Gebühren zahlen. So hatte die Appenheimer Judenschaft „vor ihre Verstorbene und das Begräbnis, es mag einer sterben oder nicht, es mögen viele sterben oder weniger, jährlich 1 Gulden 30 Kreuzer zu entrichten“ und „wegen geniesender Wasser und Weid“ mußte jeder jüdische Einwohner Appenheims ebenfalls 1 1/2 Gulden zahlen, „eine Wittib aber nichts“. Ein weiteres Zeichen dafür, daß in der Appenheimer Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts keine Rechtsgleichheit herrschte, sind die Leibeigenen. Sie werden in den Gemeinderechnungen eigens angeführt, mußten verschiedene Sondersteuern zahlen und sich für Heirat, für Orts- oder Berufswechsel die „obrigkeitliche“ Erlaubnis holen. In Appenheim gab es damals sieben männliche und elf weibliche Leibeigene, vielleicht Knechte und Mägde; sie waren auf jeden Fall zugewandert, denn die Einheimischen galten von jeher als „freyzügicht“, also von der Leibeigenschaft befreit.

So finden wir Ende des 18. Jahrhunderts in Appenheim Lebensformen und Zustände, die vielfach noch aus älteren Zeiten stammten. Zeigten sich im allmählichen Vordringen des Staats und in den konfessionellen Spannungen auch Merkmale der Neuzeit, so herrschte doch in vielen Bereichen des Appenheimer Lebens noch „Mittelalter“. Dieses Nebeneinander von alten und neuen Verhältnissen läßt auch das erkennen, was Johann Goswin Widder in seiner „geograhisch-historischen Beschreibung der kurfürstlichen Pfalz am Rheine“ über Appenheim ausführt: „Appenheim ist der beträchtlichste Ort des ganzen Oberamts, fünf Stunden von Stromberg zwischen Groß-Winternheim, Nieder-Hilbersheim, Aspisheim und dem Kurmainzischen Flecken Gau-Algesheim gelegen. Es werden 2 Kirchen und 112 Häuser, 120 Familien und 560 Seelen darin gezählet.

In einer Urkunde des Erzbischofs Adelbert von Mainz, welche er im Jahre 1132 dem Klosterjohannisberg im Rheingaue ertheilet hat, wird desselben unter dem heutigen Namen gedacht. Er ward auch unter den von Pfalzgrafen Rudolph I. im Jahre 1311 an Grafen Simon von Spanheim mit der Veste Stromburg verpfändeten Dörfern namentlich begriffen.

Unterhalb des Ortes flieset ein in der Ober-Hilbersheimer Gemarkung entspringendes Bächlein ostwärts im Thale vorbei, und treibt 5 Mühlen. Die Gemarckung enthält 1367 Morgen Äcker, 112 Morgen Wingert, 103 Morgen Wiesen etc.

Nur die Freiherren von Greiffenclau zu Vollraths, und die Reformirte Pfarrei besizen einige Freigüter.

Von der alten Pfarrkirche weiß man, daß Ludwig von Ottenstein im Jahre 1521 das Patronatsrecht darüber ausgeübet habe. Sie war dem heil. Michael geweihet, und fiel bei der Theilung ins Loos der Reformirten, die solche der Pfarrei Nieder-Hilbersheim einverleibet haben. Für die Katholischen hat der Kurpfälzische General Anton Otto von Closs auch eine eigene Kirche gestiftet, die mit einem Pfarrer bestellt ist, der zum Landkapitel Gau-Algesheim gehöret. Die Lutherischen sind nach Ober-Ingelheim eingepfarret. Den grosen Zehnten beziehen die Freiherren von Greiffenclau bis auf ein Achtel, welches der Reformirte Pfarrer zu geniesen hat.“

Als Widder das 1787 schrieb, hatte Appenheim eine lange Zeit des Friedens hinter sich, in der viele Bauern es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten. Zwei Jahre später, 1789, brach die Französische Revolution aus, ein Ereignis, das auch in der Geschichte unseres Ortes einen großen Einschnitt brachte. 

Verfasser: Dr. Franz Dumont aus Mainz Beitrag von 1983

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