Vom Wormsgau zur Kurpfalz

In den genannten Urkunden erscheinen zwar schon viele) ener Personen und Mächte, die für die rheinische Geschichte im Mittelalter von Bedeutung waren, doch erfahren wir darin wenig über die staatliche Zugehörigkeit von Appenheim in dieser Zeit.

Seit dem Zusammenbruch der Römerherrschaft unterstanden die Appenheimer fast immer den Franken, deren „Reich“ allerdings zu Anfang nur ein loser Bund von Stammeskönigtümern war. Erst Pippin dem Jüngeren (751-768) und dem zum Kaiser aufgestiegenen Karl dem Großen (768-814) gelang es, daraus einen gut organisierten Staat zu machen, der vom Atlantik bis an die Elbe und nach Italien reichte. Regiert . wurde das Karolingerreich von mehreren „Pfalzen“, befestigten Palästen, die der Kaiser 0 oder bei großen Städten anlegen ließ; eine der Lieblingspfalzen Karls des Großen war das benachbarte (Nieder-) Ingelheim. Nach Karls Tod (814) versuchten seine Söhne zunächst, das Reich gemeinsam zu regieren, was jedoch im Bruderkrieg ende 843 wurde deshalb das Frankenreich geteilt, allerdings ohne Rücksicht auf Sprach- oder Volkstumsgrenzen. Der größte Teil des linken Rheinufers kam zum Mittelreich des Kaisers Lothar (daher „Lothringen“), nur ein Abschnitt zwischen Weißenburg/ .saß und Bacharach kam „wegen der Menge des Weines“ an das von Ludwig dem Deutschen regierte Ostfrankenreich, der Keimzelle des späteren Deutschland.

Trotz der Teilungen hatte sich auch im ostfränkischen Reich zunächst einiges vom Verwaltungsaufbau aus der Zeit Karls des Großen erhalten, allem voran die Einteinlung des Landes in „Gaue“. Das waren Amtsbezirke, die von Beauftragten des Königs, den Gaugrafen, verwaltet und meist nach großen Städten, wichtigen Flüssen oder Bergen benannt wurden. So hieß es in der Prümer Urkunde von 882, daß Appenheim „in pago wormacense“, zu deutsch: im Wormsgau liege. In der nächsten Urkunde über den Ort Auskunft gibt (1112), wird Appenheim als Dorf im Nahegau bezeichnet. Inzwischen hatte sich einiges verändert: Nicht nur, daß der Nahegau nun fast das ganze nördliche Rheinhessen umfaßte; vielmehr waren die Gaue jetzt keine politischen, sondern fast nur noch landschaftliche Einheiten. Denn seit den Ottonenkaisern (919-1001) wurden diese älteren Verwaltungsbezirke sozusagen „durchlöchert“, indem die Kaiser große Gebiete aus ihnen herauslösten und sie Bischöfen oder Äbten als Herrschaftsbereiche unterstellten. Ein Beispiel dafür ist die erwähnte Übergabe von Bingen und seiner Umgebung an den Mainzer Erzbischof im Jahr 983. Damals wurde die bunte politische Landkarte des späten Mittelalters, die bis zur Franzosenzeit bestand, grundgelegt. Doch darf man für die Zeit um 1000 nun nicht an genau voneinander abgegrenzte „Staaten“ denken; vielmehr bestanden zahlreiche ältere Bindungen noch über die neuen Grenzen hinweg. So auch in Appenheim, dessen Zugehörigkeit zum Binger Burgbann (siehe den Aufsatz von Dr. Günter Groß), wie sie noch 1410 und 1552 festgehalten wurde, auf frühere Beziehungen zur Rhein-Nahe-Stadt hinweist. Den Gaugrafen blieben im Hochmittelalter nur noch unzusammenhängende Gebiete oder einzelne Orte, in denen sie ihre Aufgaben und Rechte wahrnehmen konnten. So in Appenheim, wo wir für diese Zeit Besitzungen der hiesigen Gaugrafen aus dem Geschlecht der Isalier“ nachweisen können. Nachdem diese Adelsfamilie, die ja mehrere deutsche Kaiser stellte, ausgestorben war, fielen ihre Güter zurück ans Reich.

Ebenfalls um 1100 setzten sich in unserem Raum die rheinischen Pfalzgrafen fest. Ursprünglich waren sie die an der Aachener Pfalz wirkenden Hofverwalter und Stellvertreter des Kaisers, die ihren Einflußbereich im Lauf der Zeit auf Eifel und Hunsrück verlegt hatten. Hermann, der letzte dieser rheinischen Pfalzgrafen, saß auf Burg Stahleck in Bacharach und geriet mit dem energischen Friedrich Barbarossa in Konflikt. Der Kaiser setzte ihn schließlich ab, was er noch mit der damals üblichen Schandstrafe des Hundetragens verband.

Kurz darauf, im Jahr 1156, übergab Barbarossa seinem Halbbruder Konrad von Staufen die wehgestreuten Besitzungen Hermanns. Dazu gehörte auch die Burg Stromberg mit etlichen Dörfern im „Wald“ (= Hunsrück) und im „Gau“ (= Rheinhessen); eines dieser „Gaudörfer“ war Appenheim. So kam unser Ort zur „Pfalzgrafschaft bei Rhein`; deren Regierungssitz zunächst in Alzey, dann in Heidelberg lag. Nur kurz, von 1311 bis 1324, war Appenheim mit den anderen Dörfern, „welche von altersher zur Burg Stromberg gehören“, verpfändet, und zwar an die damals noch mächtigen Hunsrücker Grafen von Sponheim, denen übrigens auch Oberhilbersheim gehörte. Die Verpfändung war ein im Mittelalter bei Fürsten sehr beliebtes Mittel, die eigene Geldnot rasch zu beheben; die Bewohner des Gebietes wurden dabei nie gefragt, wechselten aber auch eher gleichgültig ihren „gnädigen Herrn“. Als Appenheim wieder zur Pfalzgrafschaft zurückkehrte, war diese längst an das bayerische Herrscherhaus der Wittelsbacher übergegangen, von dessen verschiedenen Linien das Dorf nun fast sechshundert Jahre lang regiert wurde. Seit 1356 gehörten die Pfalzgrafen auch zu den „Kurfürsten“, also jenen sieben geistlichen und weltlichen Fürsten, die den deutschen Kaiser wählten. Ihr Land hieß deshalb bald die „Kurpfalz“. Die Übernahme der Kurwürde fiel in eine Zeit, als die Macht des mittelalterlichen deutschen Kaisertums längst gebrochen war.

Planmäßig gingen nun alle Fürsten daran, ihre oft wehverstreuten Länder und Ländchen zu verwaltungsmäßig gegliederten Territorien umzugestalten. Freilich schaute bei dieser Gebietseinteilung immer die frühere Zugehörigkeit durch: So zählte Appenheim wie einst zu Stromberg, dessen Bezirk nun ein „Oberamt“ bildete; Oberhilbersheim wurde selbst nach seinem Übergang an Kurpfalz von Kreuznach aus verwaltet, wo früher die Sponheimer Grafen gesessen hatten. Am Ausbau des Territoriums arbeiteten natürlich auch die Nachbarfürsten, so der Kurfürst und Erzbischof von Mainz, dem z.B. Gau-Algesheim gehörte. Die einzelnen Fürstentümer grenzten sich voneinander ab, und die noch im Hochmittelalter so oft veränderte politische Landkarte erstarrte zum Mosaik kleiner und kleinster Gebiete, das bis 1797 bestehen blieb. Appenheim wurde kurpfälzischer Grenzort gegenüber dem kurmainzischen Gau-Algesheim. Auf der Algesheimer Seite waren nun Landes- und Gemarkungsgrenze identisch. Sie verlief entlang der Dünnbach und dem „Landgraben“, dann an der Boller’schen Mühle vorbei in Richtung Ingelheim; auf der Kurmainzer Seite war die Grenze durch einen Graben mit Wall und Hecken markiert bzw. „befestigt“. In Appenheim amtierten seit dem späten Mittelalter Zöllner, die Waren- und Wegegebühren erhoben. Wie stark die pfälzisch-mainzische Grenze im Bewußtsein der Leute blieb, zeigt die Tatsache, daß unser Dorf auch heute noch für manche Algesheimer „do. hinne in de Palz“ liegt. In Appenheim selbst gibt es noch einen Grenzstein, der die Symbole von Kurmainz und Kurpfalz, Rad und Löwen, zeigt. Die Lage an der Grenze zwischen zwei Territorien blieb für die Appenheimer nun jahrhundertelang etwas selbstverständliches. 

Verfasser: Dr. Franz Dumont aus Mainz Beitrag von 1983

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