Reformation

Appenheim wird evangelisch

Allerdings gab es in einem, für den damaligen Menschen sehr wichtigen Lebensbereich um 1500 tiefgreifende Veränderungen: Die religiöse Einheit des Mittelalters zerbrach, durch die Reformation kam es zur Glaubensspaltung. Die Bewegung ging hauptsächlich von Deutschland aus und ist mit dem Namen Martin Luther verbunden, dessen Geburt sich gerade 1983 zum 500. Male jährt. Luther war natürlich nicht der erste und einzige, der eine grundlegende Erneuerung (lateinisch: reformatio) der Kirche anstrebte. Schon seit langem störten sich viele Christen an der Verweltlichung der Kirche, an ihrem unermeßlichen Reichtum, dem schlechten Lebenswandel vieler Priester und Bischöfe, dem Machtmißbrauch durch einige Päpste und einer rein äußerlichen Frömmigkeit.

Das war der Punkt, an dem Luthers Kritik ansetzte. Als wieder einmal „Ablässe“ angeboten wurde, mit denen man sich- zumindest scheinbar- ein Stück ewiger Seligkeit erkaufen konnte, trat der Augustinermönch Luther mit 95 Thesen an die Öffentlichkeit. Darin geißelte er über den Ablaßhandel hinaus die Haltung von Papst und Kirche zu vielen Fragen des christlichen Lebenswandels. Das war 1517. Luther hatte damit nicht nur einen Streit unter Theologen oderwie man in Rom meinte – ein bloßes „Mönchsgezänk“ ausgelöst, sondern die gerade vom einfachen Volk immer wieder geforderte „Reform an Haupt und Gliedern“ verkündet. Drei Jahre später veröffentlichte er drei Schriften; in ihnen forderte er eine neue Glaubensgesinnung, die allein auf dem freien Willen des Einzelnen und dem Wort der Heiligen Schrift beruhen sollte. Scharfe Angriffe auf Papst, Bischöfe und Kirchenverfassung rückten den Bruch mit Rom in greifbare Nähe. Dieser trat ein, nachdem Luther die päpstliche Bannbulle verbrannt und auf dem Reichstag in Worms (1521) jeden Widerruf abgelehnt hatte. Damit war Luther zum Volksheld geworden. Während er in den nächsten Jahren auf der Wartburg die Bibel in ein kraftvolles und verständliches Deutsch übertrug, wurde die Reformation zu einer Volksbewegung. Fast überall in Deutschland verlangte man die Wahl der Pfarrer durch die Gläubigen, Predigten über das „reine Evangelium“ und ein vorbildliches Leben der Geistlichen. Allerdings hatte Luther zwei Bewegungen in Gang gebracht, die er schließlich wegen ihrer Radikalität nicht mehr billigen konnte: den Bauernkrieg und die Wiedertäufer. Beide Strömungen erreichten noch vor der eigentlichen Reformation unsere Gegend.

Der Bauernkrieg, der 1525 von Schwaben bis Thüringen tobte, hatte natürlich auch ältere Wurzeln. Seine Hauptursache war, daß die (oft verarmten) Grundherren seit dem Spätmittelalter von ihren Hübnern immer mehr Abgaben und Frondienste verlangten; zudem sahen sich viele Dorfgemeinden zunehmend in ihren alten Besitzrechten bedroht. Auch machte sich ein lang aufgestauter Haß gegen die Vorrechte von Adel und Kirche bemerkbar, jetzt noch verstärkt durch den Rückgriff auf das sozial verstandene Evangelium.

Der Bauernkrieg wurde deshalb am härtesten in den geistlichen Fürstentümern geführt. So erfaßte die Bewegung auch Kurmainz, wo sich vor allem die selbstbewußten Orte des Rheingaus alter Mitsprache- und Besitzrechte erinnerten. Zugleich wurden überall „evangelische“ Predigten gehalten, und es ist anzunehmen, daß auch Appenheimer nach Gau-Algesheim und Bingen gingen, um dort „lutherische Pfaffen“ zu hören. Dabei hörten sie neben frommen Worten auch die 31 Forderungen, die die Rheingauer dem Mainzer Erzbischof stellten. Dieser schlug jedoch – wie die anderen Fürsten – bald blutig zurück, das Bauernheer lief auseinander, die Rädelsführer wurden in Eltville enthauptet und die Algesheimer – die sich den Rheingauern angeschlossen hatten – mußten hohe Geldbußen zahlen. Inwieweit das Rheingauer Beispiel hier in Appenheim mit seinem riesigen geistlichen Grundbesitz wirkte, wissen wir nicht. Allerdings scheint das Selbstbewußtsein der Appenheimer durch die Niederlage der Nachbarn keineswegs geringer geworden zu sein. Dafür zeugt der jahrzehntelange Streit mit dem Kloster Eberbach, der sich 1515 an Naturalabgaben entzündete, zwischenzeitlich beigelegt wurde, aber nach dem Bauernkrieg (1528) wieder auflebte. Hartnäckig verweigerten die Appenheimer nun jede Abgabe und ließen sich erst auf Drängen und Drohen des Stromberger Amtmanns zu kleineren Lieferungen herbei. Gewiß war das kein Aufbegehren, doch zeigt es, daß die Spannungen zwischen Bauern und Grundherren seit 1525 in Appenheim ebenfalls größer geworden waren.

Auch die Bewegungen der Wiedertäufer hatte Auswirkungen in unserem Raum. Man nannte sie so, weil sie die Kindertaufe ablehnten und statt dessen Erwachsene (nochmals) tauften. Vor allem aber wollten die Wiedertäufer ein „Gottesreich auf Erden“ mit vollkommener Gleichheit und Armut schaffen; deshalb lehnten sie jede staatliche und kirchliche Obrigkeit ab. Kein Wunder, daß die Fürsten an Rhein und Nahe nervös wurden, als die Wiedertäufer hier Fuß faßten. Nach dem Bericht eines mainzischen Beamten von 1553 hatten sie ihr Zentrum bei Büdesheim, „lagen aber auch in den Wirtshäusern und trieben sonst um Bingen viel Meuterei“.

Sicher kamen auch Appenheimer mit ihnen in Berührung, da die Wiedertäufer „vornehmlich im Feld bei nächtlicher Weise ihrer Gewohnheit nach“ zusammentrafen. Als dann drei Jahre später kurpfälzische Beamte die religiösen Verhältnisse im Oberamt Stromberg untersuchten, fanden sie auf der Stromburg sechs gefangene „Rädelsführer“ der Täufer vor. Deren Vernehmung macht deutlich, warum die Wiedertäufer beim Volk bisweilen recht großen Anklang fanden. Denn, so sagten die Gefangenen aus, „die fürnembste Ursach, von derenwegen sy unsere Kirchen Verlassen, were die Unschiglich(k)ait, das seel- und gottloß Leben irer Pfarrher, da sy bey inen nit kundten befinden das der, so fur sich selber nichts wußte und dazu mit öffentlicher Hurerey und andern Sünden beflegkt were, kundte den Geist Gottes haben, und sie was Guts unterweisen“. Neben scharfer Kritik an den „etablierten“ Kirchen zeigte ,h hier eine tiefe Enttäuschung über die im Oberamt wirkenden, teils noch katholischen, teils schon lutherischen Seelsorger. Von den Pfarrern des benachbarten Oberamts Kreuznach hieß es zur gleichen Zeit, sie seien „zum größten Teil ungeschickte, grobe Esel“. Allenthalben herrschten damals in der Seelsorge verworrene Zustände, und die „Evangelisierung“ des flachen Landes ging sicher nur langsam vonstatten.

Wenig später hatten sich die Verhältnisse aber schon etwas geklärt: Bereits 1557 wurde Appenheim zu den Pfarreien, „so der neuen Religion verwandt sind“, gezählt. Geiß, das neue „evangelische“ Bekenntnis entsprach dem Wunsch der meisten Appenheimer, doch wurde es auch stark „von oben“ gefördert. Denn die Reformation war damals längst nicht mehr eine bloße Volksbewegung. Vielmehr sah Luther inzwischen, nach seinen schlechten Erfahrungen mit Bauern und Wiedertäufern, in .,n Fürsten die geeigneten Träger der kirchlichen Erneuerung. Deshalb übertrug er ihnen auch die Aufgaben von Bischöfen (die es in seiner Kirche ja nicht mehr gab) und die Sorge um den Aufbau einer neuen Kirchenordnung. Seit 1530 schlossen sich e meisten deutschen Fürsten daher der Reformation an, viele aus Überzeugung, viele allem deshalb, weil sie mit dem Zugriff auf die Güter der aufgelösten Klöster und durch ihr Amt als „Notbischof“ mehr Macht erlangten. Schließlich stärkte es die Stellung der Fürsten ganz enorm, als der Reichstag 1555 den „Augsburger Religionsfrieden“ verkündete, der alle Untertanen zwang, sich nach dem Bekenntnis des Fürsten zu richten (Grundsatz: „Wessen Land, dessen Religion“).

Das bekamen auch bald die Appenheimer zu spüren. Ihre Landesherren, die Kurfürsten von der Pfalz, gehörten zu jenen Fürsten, die nur allmählich und relativ spät evangelisch wurden. Nach zaghaften Ansätzen unter Kurfürst Ludwig V. (1508-44) im es nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. (1544-1550) zunächst zu einer „Vorreformation“, die sich in der Begünstigung lutherischer Prediger und dem Zurückrängen bischöflicher Einflüsse bemerkbar machte. Damals verschwand die alte Einölung des Landes in „Archidiakonate“ bzw. „Landkapitel“. Um 1550 wurden diese Maßnahmen kurzfristig gestoppt, so daß es in Kurpfalz teils lutherische, teils katholische Seelsorger gab. Der Regierungsantritt des neuen Kurfürsten Friedrichs III. (1559) i achte allerdings eine gründliche Wende: Denn dieser Herrscher trat zum Kalvinismus über, jener nach dem Genfer Jean Calvin (1509-1564) benannten strengeren Richtung des Protestantismus. Mit allen Mitteln des erstarkten Landesfürstentums wurde nun überall in Kurpfalz diese Konfession durchgesetzt, und die bislang lutherischen Appenheimer mußten „reformiert“ werden, während die benachbarten Algesheimer – die auch manche Sympathie für die Reformation gezeigt hatten – katholisch bleiben mußten. So wurde die Gemarkungsgrenze zur Konfessionsgrenze, eine Tatsache die manchmal noch heute spürbar ist. Rigoros zwang der Pfälzer Kurfürst seinen Untertanen das neue Bekenntnis auf, dessen wichtigste Grundsätze 1563 im „Heidelberger Katechismus“ zusammengefaßt wurden. Die Kurpfalz war eines der wenigen deutschen Länder, die den Kalvinismus – der noch keinen reichsrechtlichen Schutz genoß -übernommen hatte. Um so energischer ging man an den Aufbau einer neuen Kirchenordnung: Appenheim wurde der Horrweiler (später Oppenheim) „Inspektion“unterstellt, die auch die Besetzung der Pfarrstelle regelte. Zwar blieb das Patronatsrecht erhalten, doch erfolgte die Berufung des Pfarrers jetzt natürlich nicht mehr mit Billigung des Mainzer Erzbischofs, sondern nach Übereinkunft zwischen den Junkern von Oberstein bzw. Koppenstein und der „Geistlichen Administration“ in Heidelberg, der höchsten kurpfälzischen Kirchenbehörde. Gerade durch die Reformation rückte der Staat den Appenheimern immer näher.

Um 1570 dürfte der lutherische Prediger in unserem Dorf von einem reformierten abgelöst worden sein. Diese Reformation „von oben“ brachte neben der neuen Organisation eine ganz neue Frömmigkeit nach Appenheim. Nunmehr stand die Bibel ganz im Vordergrund des Glaubenslebens, galt das Wort des Predigers, der durch Erklärung des Alten und Neuen Testaments zu einem mehr verinnerlichten und zugleich strengeren Christentum beitragen sollte. In dem nun einsetzenden Appenheimer Kirchenbuch traten verstärkt alttestamentliche Namen auf, und an vielen Häusern sah man nun biblische Symbole. Die Feldkreuze und Bildstöcke mit den Marien- oder Heiligenbildern verschwanden aus der Flur. Am deutlichsten zeigte sich der Wandel aber an der Pfarrkirche: Sie wurde – getreu der Abneigung Calvins gegen allen Zierat -in eine fast schmucklose Gebetsstätte verwandelt. Die Figuren und Bilder des Heiligen Michael und Nikolaus sowie die Muttergottesstatue verschwanden, ja, das gotische Taufbekken landete auf dem Kirchhof. So gab es auch in Appenheim um 1570 einen amtlich geduldeten „Bildersturm“, der vielleicht jedoch nicht ganz so wild wie in Oberhilbersheim verlief. Dort waren – nach einem zeitgenössischen Bericht – „die Götzen, die weil der Mehrheit auf den Altären stand, mitgegangen, und ihrer ein Teil, sonderlich die Gnaden und Ablaßgötzen von den Pfälzischen mit Feuer verbrennet worden“.

All diese radikalen Maßnahmen wurden bald eingestellt, denn unter dem nächsten Kurfürsten, Ludwig VI. (1576-1583) mußten die Appenheimer wieder ein anderes Bekenntnis annehmen, weil der neue Herrscher ein eifriger Lutheraner war. Allerdings führte Ludwigs Nachfolger Johann Casimir für die gesamte Kurpfalz wieder den Kalvinismus ein. Dabei blieb es nun endgültig, und die 1564 begonnene Ordnung konnte sich festigen. Jetzt setzt auch die Reihe der reformierten Pfarrer von Appenheim ein: Der erste war ein gewisser Johannes Eisenkopf aus Simmern, der von 1585 bis 1602 hier wirkte. Mit ihm zog ein ganz neuer Typ des Seelsorgers in unser Dorf ein. Es waren Männer, die durchweg eine bessere Ausbildung als die katholischen Pfarrer des späten Mittelalters hatten: Die meisten von ihnen stammten aus einem der vielen pfalz-bayerischen Länder und hatten an den damals recht bekannten evangelischen Hochschulen Herborn und Heidelberg studiert. Da sie verheiratet waren, zog in das noch mittelalterliche Pfarrhaus – die „Altaristenhäuser“ wurden nicht mehr gebraucht – ein regelrechtes Familienleben ein. Im Pfarrhaus wohnte wahrscheinlich auch ein Lehrer, denn die Reformation hatte gerade dem Schulwesen großen Auftrieb gegeben. Zu regulärem Unterricht fehlte es in Appenheim aber zunächst an Raum, denn in einem Bericht von 1591 heißt es, „So hat es des Orts kein Diaconat, Schul- oder Glockhauß. Es berichten Schultheiß und Eltesten, daß es eine feine jugent an Buben in diesem Flecken, die auch zimblich groß, habe, die wol könnten zur Schulen gehalten werden, könnte auch woll eine gute Gelegenheit zu Uffrichtung eines Schulhauß haben,allein, daß uff Mittel und Wege gedacht würde, daß ein Schuldiener auch außer der Kirchen oder sonsten Underhaltung verordnet werden möchte“. Die Heidelberger Behörden reagierten verhältnismäßig rasch, denn 1605 hatte Appenheim ein Schulhaus (neben der Kirche) und einen Lehrer. Das hing sicher auch mit Größe und Fruchtbarkeit unseres Ortes zusammen; hier lohnte es sich, die Jugend auszubilden (eine allgemeine Schulpflicht gab es ja noch nicht). Schon damals zählte Appenheim zu den größten Orten, die der Stromberger Amtmann verwaltete. So ergab ein Bericht des Oberamts von 1589, daß unser Dorf damals „umb 70 Herdstetten“, also Haushaltungen, hatte, was eine Einwohnerzahl von etwa 350 bis 400 Personen ergibt. Die Appenheimer Lieferungen an Beede und Atzung, in Gulden oder in Naturalien (Wein, Korn und Fastnachtshühnen) waren ein fester – und großer! – Posten in der Stromberger Kellereirechnung. Als wohlhabendes evangelisches Pfarrdorf ging Appenheim ins 17. Jahrhundert.

Zunächst schien auch dieses Frieden und Wohlstand zu versprechen; so konnte 1613/ 14 endlich einmal die Pfarrkirche renoviert werden. Doch dann begann einer der unruhigsten Abschnitte der Appenheimer Geschichte: 1618 brach der Dreißigjährige Krieg aus. Kurpfalz stand durch die riskante Außenpolitik seines kalvinistischen Herrschers anfangs ganz im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Sie waren zunächst ein Kampf der Konfessionen, der sich aber bald zum Ringen der europäischen Großmächte Österreich, Frankreich, Spanien und Schweden um die Vorherrschaft in der Mitte des Kontinents ausweitete. Mit der ganzen Kurpfalz geriet auch Appenheim rasch in den Wirbel der Kampfhandlungen. Schon 1620 streiften die für den katholischen Kaiser kämpfenden Spanier in der Gegend von Bingen und Kreuznach herum. Bald tauchten sie in Appenheim auf, plünderten etliche Häuser, vergewaltigten einige Frauen und richteten Flurschaden an. Solche Schikanen verübten auch die anderen Besatzungsmächte, doch hatten gerade die Spanier noch mehr vor: Sie versuchten im Laufe der Zeit, die von ihnen besetzten Gebiete wieder katholisch zu machen. Das war jedoch schwerer als erwartet, denn zum einen hielten viele Gemeinden an ihrem evangelischen Glauben fest, zum anderen gab es ständig Reibereien zwischen dem spanischen Hauptquartier in Kreuznach und dem Mainzer Erzbischof, die beide mit ihren eigenen Priestern die Rekatholisierung der pfälzischen Orte durchführen wollten. So blieb der Erfolg begrenzt, doch konnte ein spanischer Beamter am 29. Januar 1627 befriedigt aus Appenheim melden: „Dies versieht der Kaplan von Gau-Algesheim . . . Die Kirche wurde von den Collatoren neu gebaut, aber es fehlen der Altar, der Taufstein und alle Kirchengerätschaften. Einen Lehrer haben sie auch nicht, auch keine Einkünfte für diesen . . . Der Pfarrer ist mit den Seinen zufrieden, er erhofft nach und nach noch Besseres. Die Untertanen wiederum sind auch mit ihm zufrieden und bitten sehr um sein Bleiben.“ Während sich die Oberhilbersheimer nach demselben Bericht wesentlich hartnäckiger zeigten (zumal der Lehrer dort weiter „verdächtige und ketzerische Bücher“ gebrauchte), hatten sich die Appenheimer den Wünschen der Besatzungsmacht zumindest nach außen hin rasch gefügt. Inwieweit das ihrer inneren Überzeugung entsprach, ist schwer zu beurteilen. Neben einzelnen Erfolgen der von Mainz und Kreuznach geschickten Priester dürfte das Streben nach erträglichem Auskommen mit den Spaniern ein Hauptgrund für diese „Konversion“ der Appenheimer gewesen sein.

Das gleiche gilt natürlich auch für die Zeit der schwedischen Besetzung der Kurpfalz (1613-34), als die Appenheimer wieder evangelisch wurden. Bereits 1630 hatte König Gustav Adolf von Schweden in den Krieg eingegriffen, angeblich nur, um den deutschen Protestantismus zu retten, doch verfolgte er in Wirklichkeit sicher auch machtpolitische Ziele. 1631 besetzten die Schweden Bingen und Umgebung. Erneut mußten die Appenheimer Besatzungslasten tragen, vor allem die kostenlose Verpflegung von Soldaten und die Ablieferung von Lebens- und Futtermitteln sowie Frondienste für das fremde Heer.

Zugleich machte auch diese Besatzungsmacht ihre Ansprüche in Glaubensdingen geltend: So mußten die Appenheimer dem gerade erst angenommenen Katholizismus abschwören und wieder evangelisch werden – freilich nicht reformiert, sondern (wie Gustav Adolf selbst) lutherisch. Nach weiteren drei Jahren Krieg, in denen Appenheim wegen seiner Lage etwas besser davon kam als Bingen und Gau-Algesheim, standen 1637 wieder die Spanier im Land. Sie begünstigten natürlich erneut den Katholizismus, zu dem damals wohl einige Appenheimer Familien (z. B. die des Müllers Wetzler) übertraten, und die von Gau-Algesheim aus betreut wurden. Indes scheint diese Rekatholisierung weniger energisch betrieben worden zu sein als die von 1627, denn für die zweite Hälfte des Dreißigjährigen Krieges ist wieder ein evangelischer Pfarrer in Appenheim namens Jakob Kayserswerth nachweisbar. Allerdings hatten die häufigen, erzwungenen Glaubenswechsel die Folge, daß die „Konfession“ bei vielen Bauern weniger der inneren Überzeugung als der Einsicht in den Zwang der politischen Verhältnisse entsprach. Auch in der Kriegsführung trat der Glaubensunterschied zurück, denn in den vierziger Jahren kämpfte z.B. das katholische Spanien hier gegen das ebenfalls katholische Frankreich, das mit dem protestantischen Schweden verbündet war. Seit 1644 lagen erstmals auch in Appenheim Franzosen, deren Schikanen gegenüber der Zivilbevölkerung denen der Spanier und Schweden in keiner Weise nachstanden. Die Wirtschaft des Dorfes litt unter den dauernden Anforderungen der Besatzungsmacht und unter der allgemeinen Not des „Großen Krieges“. Statt der üblichen 29 konnte Appenheim nur 5 Malter Korn nach Stromberg liefern, und die „Fastnachtshühner“ blieben ganz aus. 1646 standen alle Appenheimer Mühlen still.

So ging ein Aufatmen durchs Land, als zwei Jahre später bekannt wurde, daß Frankreich, Schweden, Spanien, der Kaiser und das Reich in Münster und Osnabrück den „Westfälischen Frieden“ geschlossen hatten. Ausführlich befaßte sich der Vertrag mit Kurpfalz, dem Ausgangspunkt des langen Ringens: Die zwischenzeitlich abgesetzten Pfalzgrafen erhielten Land und Kurwürde wieder, ihr Bekenntnis- der Kalvinismus – wurde nun als dritte Konfession in Deutschland zugelassen. Für die Appenheimer, die in ihrer großen Mehrheit ja „reformiert“ geblieben waren, brachte der Frieden zudem einen gewissen Schutz vor weiteren zwangsweisen „Bekehrungen“, da jetzt die Untertanen den Religionswechsel des Fürsten nicht unbedingt mitmachen mußten. Allerdings spürte man im Appenheimer Alltag rasch, daß der Friedensschluß zwar das Ende der Kämpfe, nicht aber der Besetzung bedeutete. Denn vertragsgemäß blieben die Franzosen noch bis Anfang 1650 im Land und machten mit ihren Streifzügen noch weitere fünf Jahre unsere Gegend unsicher.

Verfasser: Dr. Franz Dumont aus Mainz Beitrag von 1983

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